Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium
Die Chance, barmherzig zu werden
Das ist der Gipfel des Evangeliums, sagen unisono alle über die Bergpredigt. Der indische Hindu Mahatma Gandhi hatte vor dieser Bergpredigt einen solchen Respekt, dass er schrieb: „Wenn ihr Land und das unsrige aufgrund der Lehre zusammenkommen, die von Christus in der Bergpredigt niedergelegt wurden, werden wir die Probleme der ganzen Welt gelöst haben!“
Unter anderem lesen wir in der Bergpredigt: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden“ (Mt 5,7). Diese Aussage hat Jesus in seiner Verkündigung und in seiner Lebenspraxis immer wieder aufgezeigt. Seine Forderung: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!
Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter hat er nachgelegt: Ein Pharisäer und ein Schurke beten im Tempel Der Pharisäer betet: „Gott ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher und auch nicht wie dieser Zöllner da. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allen meinen Einkünften“ (Lk 18,9-12). Der Sünder, der auch im Tempel ganz hinten kniet, vor lauter Schuldbewusstsein nicht einmal den Kopf heben kann, bittet nur: „Gott, sei mir Sünder gnädig“ und geht nach den Worten Jesu gerechtfertigt nachhause. Der Pharisäer geht trotz seines frommen Tuns leer aus. Ja, der Höllenkandidat wird zum Himmelskandidaten.
Und Jesus setzt noch einen drauf, wenn er die These aufstellt: „Wahrlich, ich sage euch, die Zöllner und die Huren kommen eher in das Reich Gottes als ihr“ (Lk ,7,37).
Und schlussendlich krönt Jesus die Barmherzigkeit in unvergleichlicher und noch nie dagewesener Weise im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Wir kennen diese Geschichte von Kindesbeinen an und kommen mit ihr an kein Ende. Mich fordert sie immer wieder heraus. In mir wohnt auch der brave Sohn, der besser zu sein glaubt als andere. So ein Richter Gnadenlos. Wo kämen wir denn hin, wenn gescheiterte Existenzen noch hofiert werden!
Die Erzählung vom verlorenen Sohn zeigt uns, dass der Vater nicht sagt: „Geh weg von mir, ich liebe dich nicht mehr. Du bist ein schlechter Mensch, du kommst in die Hölle. Der Vater verzichtet sogar auf ein detailliertes Schuldbekenntnis. Noch bevor der Sohn reden kann, fällt er ihm um den Hals, und dann feiert er drei Tage mitten in der Ernte ein Fest. Dass der andere Bruder den Vater für durchgeknallt hält, ist verständlich.
Der geistliche Schriftsteller Henri Nouwen reiste wegen einer schweren Depression nach Petersburg, um das Bild Rembrandts vom verlorenen Sohn zu sehen und dort lange, lange zu sitzen. Einer, der mit ihm freundschaftlich verbunden war, nahm sich ein Herz und sagte zu ihm: „Henri, du sprichst immer von dir als dem verlorenen Sohn, aber ich glaube, jetzt ist es Zeit, das du der Vater wirst. Das ist deine Berufung.“
Das wurde für ihn zu einem Schlüsselerlebnis. Er kam zu dem Entschluss: „Wenn ich auf meine eigenen Hände schaue, weiß ich, dass sie mir gegeben sind, um sie nach allen auszustrecken, die leiden, um sie auf den Schultern aller ruhen zu lassen, die total am Ende sind!“ Ich vermute, dass Dietrich Bonhoeffer etwas Ähnliches erfahren haben muss, als er zu der Erkenntnis kam: „Wer einmal erfahren hat, dass Gott ihm verziehen hat, dem vergeht jede Sucht zu richten, der will nur noch gütig sein.“
Was für eine Chance, barmherziger zu werden! Wir sind nicht dazu verdonnert in unserem Tränenmeer sitzen zu bleiben! Warum zögern wir noch?
Pater Josef Lienhard, Nr. 5 vom 29. Januar 2023 – Evangelium Mt 5, 1–12a
Gott liebt die Armen wie die Reichen.
Die Reichen aber fürchten sich manchmal davor,
geliebt zu werden, weil Gott auch etwas von ihnen verlangt.
Und doch wäre es viel besser für sie, den Reichtum sinnvoll zu nutzen.
Eröffnungsvers.
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