Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium
In Gottes neuer Welt leben: Wie Gott mir, so ich dir!
Ich beobachte meine Kinder beim Abendessen. Erst ein verstohlener Blick von der kleinen zur großen Schwester gegenüber – dann blitzt ganz kurz, verbunden mit einem giftigen Blick, die kleine Zunge hervor. Die Große rührt sich nicht, zumindest nicht für mich sichtbar, aber unter dem Tisch wandert ein Fuß Richtung Schienbein der kleinen Schwester. Diese schreit unvermittelt: „Au! Lass mich!“ Sofort schaltet die Große in den Verteidigungsmodus: „Wieso? Du hast doch …“ Jeder kann sich vorstellen, wie es weiterging.
Die Kinder sind im Bett und ich verfolge die Nachrichten. Thema Nummer eins ist der Krieg in der Ukraine. Unter den Mächtigen der beteiligten Länder wird die unerträgliche Debatte darüber geführt, wessen Drohnen wie viele Menschenleben vernichtet haben.
Zwei Stunden später läuft eine Reportage über Gewalt an Frauen. Anlässlich des jährlichen Tages gegen Gewalt an Frauen am 14. Februar hat eine EU-Studie ergeben, dass jede dritte befragte Frau (33 Prozent) seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren hat. Dies entspricht etwa 62 Millionen Frauen.
Drei Erfahrungen von Gewalt in drei völlig verschiedenen Dimensionen. Auch Jesus spricht über drei Erfahrungen von Gewalt. Sein Umgang damit provoziert mich, es ist vermutlich das Gegenteil von dem, was mir zuerst einfallen würde. Angesichts der oben beschriebenen Situationen stelle ich mir sofort die Frage: Wann ist es richtig nachzugeben und wann sich durchzusetzen?
Schließlich handelt es sich bei Jesu Empfehlung keineswegs um ein passives „Lass dich verprügeln!“, sondern jedes der drei von Jesus gezeichneten Bilder beinhaltet ein aktives Element: die andere Wange hinhalten, den Mantel dazugeben und eine zweite Meile mitgehen. Manchmal kann man etwas bewusst tun, was der andere nicht erwartet. Das bewirkt eine Irritation, ein Nachdenken, das möglicherweise zu einer neuen Einstellung und einem anderen Verhalten führt. Ich möchte nicht verschweigen, dass dafür enorme Überwindung nötig ist, bei der man sein Selbst, seinen Stolz und seine Würde in Gefahr bringt und wahrscheinlich in weiten Teilen unserer Gesellschaft für dumm und schwach gehalten wird. Eine Chance ist es dennoch, eine neue Logik.
Es hilft, das Evangelium von hinten her zu lesen, um es zu verstehen. Als Grund für seine neue Logik führt Jesus an „Seid also vollkommen wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!“ Wir dürfen uns also an Gottes Güte und Barmherzigkeit orientieren. Er lässt seine Sonne auch dann noch über mir aufgehen, wenn ich es gar nicht mehr verdient habe. Und er lässt weder die Bösen noch die Guten verdursten.
Wenn ich in Gottes neuer Welt lebe, wenn sein Himmelreich bereits beginnt, dann gilt nicht mehr „Wie du mir, so ich dir“, sondern „Wie Gott mir, so ich dir!“
Weil Gott alle Menschen liebt, steht Jesus besonders auf der Seite der Unterdrückten und Schwachen. Keiner soll sich über den anderen erheben. Eine Einteilung in Kategorien wie Freund und Feind ist überflüssig, weil wir alle Kinder eines Vaters sind. Wer in dieser Welt Gottes lebt, lässt auch nicht zu, dass Frauen und Kindern Gewalt angetan wird und dass Menschenleben per Knopfdruck ausgelöscht werden.
Mir, als Mutter, ist es schließlich auch wichtig, dass meine beiden Mädchen versöhnt ins Bett gehen.
Christiane Herrmann, Nr. 8 vom 19. Februar 2023 - Evangelium Mt 5, 38–48
Jesus hat die Menschen gelobt, die keine Gewalt anwenden,
auch da, wo ihnen Unrecht geschieht (Mt 5, 5).
Sein Recht um jeden Preis durchsetzen ist nicht immer das Beste;
vielleicht fügt man zum alten Unrecht neues hinzu, und man nährt den Hass.
Wer es fertigbringt, auf sein Recht ohne Bitterkeit zu verzichten,
hat etwas Größeres gewonnen: die Freiheit und den Frieden.
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