Auf ein Wort: Gedanken zum Sonntagsevangelium
Was Jesus seinen Jüngern vermacht
Der bekannte englische Physiker Isaac Newton (1643-1726) hat einmal gesagt: „Wir dürfen das Evangelium nicht lesen wie der Notar ein Testament liest, sondern wie es der Erbe liest.“
Der Notar liest ein Testament nach juristischen Gesichtspunkten und schaut, ob alles sachlich richtig ist. Der Erbe, der in guter Beziehung mit dem Verstorbenen stand, nimmt das Testament mit Freude und voller Dankbarkeit auf.
Das Evangelium vom heutigen Sonntag gleicht einem Testament Jesu. Es gehört zu den sogenannten Abschiedsreden, in denen Jesus wichtige Anliegen aufgreift und sie den Jüngern noch einmal ans Herz legt. Wir dürfen diese Worte Jesu in der Haltung eines Erben lesen und fragen: Was vermacht uns Jesus darin?
Er spricht vom ewigen Leben als eine Art erstes Vermächtnis: „Du hast dem Sohn Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen (...) ewiges Leben schenkt“ (17,2). Jesus geht es also nicht so sehr um das irdische Leben, das wir oft so wichtig nehmen. Er spricht auch nicht von den Dingen, an denen wir meist so stark hängen wie Geld, Besitz, Ansehen, Freizeitplanungen und ähnliches. Jesus spricht vom ewigen Leben. Wir fragen uns: Was versteht er darunter?
„Das ist das ewige Leben, dass sie dich, den einzigen, wahren Gott, erkennen“, heißt es im Evangeliumstext. Das johanneische Erkennen ist mehr als ein mit dem Verstand begreifen. Es ist ein in Beziehung treten, es ist eine Art Herzenserkenntnis, es bedeutet lieben. Jesus geht es also darum, dass wir zur Mitte finden, zum lebendigen Gott, und dass wir mit diesem Gott in Beziehung treten und mit ihm verbunden bleiben.
Jesus vermacht uns weiter seine Worte: „Die Worte, die du (= Vater) mir gabst, habe ich ihnen gegeben“. Mit diesen Worten ist das Evangelium, die gute Botschaft gemeint. Jeden Sonntag hören wir Worte des Evangeliums. Es kommt darauf an, dass wir diese Botschaft nicht bloß anhören wie eine Pressemitteilung, sondern dass wir sie aufnehmen und ins Herz lassen. Das geht nur, wenn wir über Worte der Heiligen Schrift nachdenken und uns Zeit dafür nehmen. Und dann kann es sein, dass mich ein Wort besonders anspricht, das mich den ganzen Tag über begleitet oder sogar mehrere Tage.
Als dritte Gabe vermacht uns Jesus das fürbittende Gebet. „Für sie bitte ich“, sagt er. Der ganze Abschnitt des Tagesevangeliums ist ja ein Gebet. Das Gebet war Jesus immer wichtig. Oft zog er sich in der Nacht oder am frühen Morgen zum Gebet zurück. Die Jünger lehrte er das Beten. Und gelegentlich berichten die Evangelien, dass Jesus vor einem wichtigen Ereignis betet wie etwa vor der Brotvermehrung.
Das Gebet ist mit einem modernen Netzwerk zu vergleichen. Da werden geistliche Daten übertragen und gereichen dem Anderen zum Nutzen. Das geht, weil bei Gott die zentrale Vernetzungsstelle liegt. Gebet ist eine Art geistliche Kommunikation. Jesus ist der Vorbeter. Wir beten mit. Und so ereignet sich Verbundenheit.
Am Schluss des heutigen Evangeliums werden wir darauf hingewiesen, dass wir in der Welt bleiben, während Jesus zum Vater geht. Dieses In-der-Welt-bleiben kann manchmal ganz schön schwer sein, deshalb bietet Jesus uns Hilfen an: seine Worte, sein Gebet und seine sakramentale Nähe. Nehmen wir sie in der Haltung eines Erben auf, dann werden wir in dieser Welt bestehen.
Dompropst Alfred Rottler, Nr. 21 vom 21. Mai 2023 - Evangelium Joh 17, 1–11a
Jesus ist nicht gekommen, um alle unsere Probleme zu lösen,
sondern um in dieser Welt Gott sichtbar zu machen.
Sein Name soll geheiligt werden.
Jesus selbst ist der Weg Gottes zu den Menschen und der Weg,
auf dem die Menschen zu Gott kommen.
In dem Menschen Jesus ist für uns Gottes Wesen sichtbar
und sein Geist erfahrbar geworden.
Hier nimmt die neue Schöpfung ihren Anfang.
Kontakt / Abo
Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt
Verlag und Redaktion
Luitpoldstraße 2, 85072 Eichstätt
Tel. (08421) 50-810
verlag(at)kirchenzeitung-eichstaett(dot)de
redaktion(at)kirchenzeitung-eichstaett(dot)de
anzeigen(at)kirchenzeitung-eichstaett(dot)de
Bezugspreise (ab Jan. 2021):
Durch die Agentur (Pfarramt) monatlich 8,80 € (7,60 € einschl. 7 % MWSt. + 1,20 € Zustellgebühr); durch die Post monatl. 9,55 €; Einzelnummer. 2,20 €.
.
Kündigungen des Abonnements unter Einhaltung der Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende: ausschließlich schriftlich gegenüber der Willibaldverlag GmbH, der Agentur oder per E-Mail an
kuendigung(at)kirchenzeitung-eichstaett(dot)de
Keine Haftung bei Streik oder Fällen höherer Gewalt.