Ängste, Sorgen und Suche nach Sinn
Kinder mit traumatischen Fluchterfahrungen habe es an ihrer Grundschule nicht gegeben, blickt Anna Kirschner auf ihre eigene Kindheit zurück: „In der Klasse meiner Tochter sind es vier.“ Was die Referentin an der katholischen Jugendstelle Ingolstadt und Diözesanreferentin der Georgspfadfinder beschreibt, zeigt, wie sich die Wahrnehmung von Kindern und Jugendlichen im Vergleich zur gefühlt geradezu unbeschwert aufgewachsenen Generation vor ihnen geändert hat, wie nach den traumatischen Erfahrungen durch Corona mit einem Krieg in Europa schon die nächste existenzielle Bedrohung in ihr Leben tritt, wie sie über alledem noch regelmäßig beunruhigende Nachrichten in Sachen Klimawandel zu verdauen haben. Das Thema, um das sich die „Woche für das Leben“ heuer dreht – „Generation Z(ukunft). Sinnsuche zwischen Angst und Perspektive“ – sei deshalb wirklich „am Punkt“, sagt die Jugendreferentin: „Wir sind froh, dass es nun in den Fokus genommen wird.“
Kirschner, die neben ihrer Arbeit in Ingolstadt auch den Bereich „jugendpastorale Projekte im Bischöflichen Jugendamt betreut, hat in den vergangenen Monaten mit Diözesanjugendpfarrer Korbinian Müller ein Programm zusammengetragen, mit dem die bundesweite „Woche für das Leben“ im Bistum Eichstätt aufgegriffen wird. Die Angebote (siehe KiZ Nr. 16), die teils online stattfinden, wenden sich nicht allein an die Zielgruppe junger Menschen, sondern könnten auch hilfreich sein für Eltern oder Religionslehrer, hofft Kirschner.
Bei ihrer Arbeit mit jungen Menschen stellt sie derzeit fest, wie schwer es bis heute vielen falle, „aus diesem Corona-Tief wieder herauszukriechen“. Wieder zieht sie Parallelen zu ihrer eigenen Jugend: „Als wir 17, 18 Jahre alt waren, das war für uns die schönste Zeit.“ Umso härter für diejenigen, die diese Phase inmitten der Pandemie nicht ausleben konnten. Kirschner sieht die diesjährige „Woche für das Leben“ auch als gute Gelegenheit, die Jugend als Zielgruppe der Pfarrseelsorge in den Blick zu nehmen: Wo sind unsere Jugendlichen? Wie nehmen wir sie und ihre Sorgen und Anliegen wahr? Dabei könnte auch der Ökumenische Jugendkreuzweg (siehe KiZ Nr. 10) hilfreich sein, der heuer eine eigene Station zur „Woche für das Leben“ beinhaltet. Daraus lasse sich über die Kar- und Osterzeit hinaus ein Impuls für Ministranten-Wochenenden oder Firmlings-Treffen gestalten, rät die Jugendreferentin.
Auch wenn die „Woche für das Leben“ sich bislang nicht explizit um junge Menschen drehte, so gab es doch Themen, die alle Generationen angehen. 2019 zum Beispiel ging es, im Bistum Eichstätt von der damaligen Netzwerk-Leben-Referentin Teresa Loichen koordiniert, um Suizidprävention. Thematisch eingebunden war damals wie heute die Telefonseelsorge des Bistums. Die Altersgruppe der 15- bis 30-Jährigen mache knapp zehn Prozent aller Anrufenden aus, informiert Hans Iberl, der Leiter der ökumenisch vom Bischöflichen Ordinariat Eichstätt und vom Diakonischen Werk Ingolstadt getragenen Einrichtung: „Von den Themen her ist es tatsächlich so, dass das Feld Ängste am meisten vorkommt.“ In der aktuellen Statistik nimmt es fast 30 Prozent ein. Ergänzend wird auch eine Chat-Beratung im Internet angeboten, bei der die Altersgruppe 15-19 sogar rund die Hälfte ausmacht. „Klar“, meint Iberl, „das wird eher von den Jüngeren genutzt“. In den Chats kommt laut Statistik in jedem fünften Anruf depressive Stimmung zum Ausdruck, bis hin zu psychischer Erkrankung. Fatal in diesem Zusammenhang seien die enorm langen Wartezeiten bei Fachärzten, bemerkt Iberl, der zur „Woche für das Leben“ bei einem Online-Infoabend des Eichstätter Mentorats für Studierende (und alle anderen Interessierten) Einblick in die Arbeit kirchlicher Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Problemen und in Krisensituationen gibt.
Mit von der Partie ist bei der Online-Veranstaltung auch Helmut Enzenberger, Diözesanbeauftragter für Krisenseelsorge im Schulbereich und Referent für Schulpastoral am Neumarkter Ostendorfer-Gymnasium. In seiner täglichen Arbeit erlebt er die ganze Bandbreite von Problemen junger Menschen „mit durchaus existenziellen Krisen“: Mobbing, Ablehnung, fehlendes Selbstwertgefühl, verzerrte Selbstwahrnehmung, Lebensumbrüche, Suchen und Annehmen sexueller Identität. Gerade beim letzten Bereich gebe es hohe Suizidgefährdung, weiß Enzenberger, herrsche doch oft Unverständnis im Umfeld. Schulpastoral hingegen, auch wenn sie von der Kirche angeboten wird, wolle den Betroffenen mit Verständnis und Unvoreingenommenheit begegnen.
Die „Lebens- und Denkenswelt“ junger Menschen, der sich die „Woche für das Leben“ diesmal annähert, wird heute entscheidend geprägt von den Sozialen Medien. Zum Zweifel, ob diese virtuellen Kanäle auch ein realistisches Weltbild vermitteln, kommt für Enzenberger auch die Beobachtung, dass die digitale Kommunikation „analog isoliert“. Sein höchst effektives Gegenmittel, das er in Vertretungsstunden gern einsetzt, lautet: Schafkopf. Das traditionelle Kartenspiel schule nicht nur die kognitiven Fähigkeiten, sondern sei zugleich „einfach sozial, praktisch das bayerische Gegenmittel zur Gamer-Szene“. Enzenberger bestärkt seine Schützlinge auch darin, sich geselligen Vereinen wie den „Kirwamädchen und -burschen“ anzuschließen. Wenn sie mitunter am Montagmorgen in der Schule die Müdigkeit überfällt, dann drückt der Schulpädagoge und Religionslehrer schon mal ein Auge zu. Sei es doch das Hauptanliegen seines Unterrichts, Lebensfreude zu vermitteln und wachzuhalten, aus dem Evangelium heraus: „Eine erfüllende Botschaft vermitteln, die tragfähig ist.“
Zukunftsängste spürt er gleichwohl bei jungen Menschen, „auch wenn diese ihre Empfindungen sicher nicht wie wir Erwachsene formulieren. Angst drückt sich bei ihnen mehr in Lethargie aus, in Demotivation. Man merkt, dass der Motor, der Widerstand, das Kämpfen fehlt, der Antrieb – das, was wir alle brauchen.“
Gabi Gess
Info zum Programm unter: www.bistum-eichstaett.de/woche-fuer-das-leben
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