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06.07.2023

Als Glaubensflüchtlinge nach Franken

Habsburgische Exulanten und Hugenotten fanden einst Aufnahme / Aktuelle Ausstellungen

Erinnert an das Schicksal der Exulanten: Ein Denkmal am Dorfplatz von Kammerstein im Landkreis Roth. Dort hatten sich einst viele Glaubensflüchtlinge niedergelassen und damit dem Ort, der im Dreißig- jährigen Krieg viele Einwohner verloren hatte, neues Leben eingehaucht. Foto: Paulus

Ihnen wurde das Recht verwehrt, ihre Religion auszuüben. So flohen Hugenotten aus dem bourbonischen Frankreich und Exulanten aus den habsburgischen Stammlanden in Österreich. Franken wurde für viele der Glaubensflüchtlinge zur neuen Heimat.

Konvertieren oder gehen

Noch im 16. Jahrhundert war etwa das habsburgische Österreich zu 90 Prozent evangelisch. Reformation und lutherischer Glaube fanden bei Bevölkerung und Adel großen Anklang. Wenig später änderte die Gegenreformation jedoch alles. Groß war das Bestreben nach einem einheitlichen Glauben. Vor allemunter dem streng katholischen Kaiser Ferdinand II. gerieten immer mehr protestantische Gläubige ins Fadenkreuz. In evangelische Gebiete schickte der Herrscher Bewaffnete. Sie verbrannten Bücher, zerstörten Kirchen, vertrieben Prediger. Wer bleiben wollte, musste seinen Glauben ablegen, wer ihn behalten wollte, musste fliehen. Nur acht Tage Zeit ließ der Kaiser etwa Geistlichen und Lehrern, um das Land zu verlassen. Gehen durfte aber nur, wer hohe Abgaben leistete. Zehntausende Menschen flohen trotzdem bis 1670 aus Österreich. Viele von ihnen ließen sich in Franken nieder, darunter in Kammerstein im heutigen Landkreis Roth. Aus Kärnten, dem Salzburger Land, Oberösterreich und Niederösterreich kamen die meisten Glaubensflüchtlinge. Es waren Handwerker, Bauern und reiche Adelige. „Ihre Bedeutung kann für Kammerstein und das Kammersteiner Land gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“, sagt der dortige Bürgermeister Wolfram Göll. Auf dem Dorfplatz erinnert das vor 23 Jahren eingeweihte Denkmal an sie. Das Steinmosaik im Boden zeigt eine Exulantenfamilie. Das steinerne Tor soll einen Blick in damalige Zeit eröffnen.„Gleichzeitig wird beim Begehen des Torbogens der Neubeginn und damit das Ankommen in der neuen Heimat sichtbar“, ist auf einer Infotafel unweit des Denkmals zu lesen. „Im Dreißigjährigen Krieg wurden Landschaft und Dörfer verwüstet. Von den verrohten Truppen wurden Menschen grausam geschändet und ermordet,“ erklärt Göll. Die Bevölkerung war ausgedünnt. „Nahezu null“, fügt er an. „Die Exulanten trugen maßgeblich dazu bei, dass die Dörfer wieder aufgebaut werden konnten.“ Um an das Schicksal und die Geschichte der Exulanten zu erinnern, hat die Gemeinde eine Wanderausstellung initiiert. Zu sehen ist sie unter anderem ab 15. September in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde in Nürnberg-Katzwang.

Flucht und Neubeginn

Die Reformation führte in bislang unbekanntem Ausmaß zu Flucht und Verfolgung. Ab 1686 kamen die ersten Hugenotten nach Schwabach. Dort konnten sie frei leben, arbeiten und ihren Glauben ausüben. Auf freier Flur, im heutigen Stadtteil Boxlohe, bauten sie 1686/87 eine helle, freundliche Kirche. Es war die erste hugenottische Kirche in Franken.

Eine komplett neue Stadt ließ der Markgraf von Brandenburg-Bayreuth Christian Ernst in Erlangen südlich der Altstadt anlegen. Nach schwierigen Anfangsjahren entwickelte sie sich zu einem wichtigen Handels- und Gewerbeplatz. Der Handel des hugenottischen Kaufmann Abraham Marchand mit Produkten wie Strümpfen oder Handschuhe florierte sogar so, dass er für die Erlanger Hugenottenkirche eine Glocke stiften konnte.

Sind wir willkommen?

Lebensgeschichten von acht Hugenotten und acht Exulanten werden bis Juni 2024 in der Schau „Zuwanderer in Franken im 17. Jahrhundert“ im Museum Kirche in Franken in Bad Windsheim vorgestellt. „An 16 Einzelschicksalen werden die ganz unterschiedlichen Erfahrungen in den Umwälzungen dieser Zeit nacherlebbar: Freuden und Leiden beim Abschied, Unterwegssein, Ankommen und Neuanfang“, heißt es in einer Aussendung des Museums. Die Besucherinnen und Besucher werden mit Fragen konfrontiert, wie sie auch heute hochaktuell sind: Wurden die Flüchtigen mit offenen Armen von den Einheimischen empfangen? Wollten und konnten sich die fränkischen Neubürger gut in die Gesellschaft integrieren? Zur Sonderausstellung „Zuwanderer in Franken“ gibt es heuer noch drei kostenlose Sonntagführungen: am 3. September, 5. November und 30. Dezember, jeweils um 14.30 Uhr. Im Museum Kirche in Franken in Bad Windsheim findet außerdem am Dienstag, 10. Oktober um 19 Uhr der Vortrag „Christus war Exulant! – Das Selbstverständnis oberösterreichischer Exulanten im 17. Jahrhundert“ statt. Referent ist Günter Merz vom Evangelischen Museum Oberösterreich in Rutzenmoos.

Europaweit eingebettet

Die Bad Windsheimer Ausstellung ist Teil eines europäischen Forschungsprojekts, das sich mit Flucht, Vertreibung und konfessionspolitischen Auseinandersetzungen in der åGeschichte des Protestantismus befasst. Über zehn Museen und Bildungsinstitutionen beteiligen sich mit Ausstellungen in Frankreich, Österreich, Ungarn, Slowenien, Rumänien, den USA sowie in Bayern, darunter das Diakonie-Museum Rummelsberg und das Löhe-Zeit-Museum in Neuendettelsau. Eine Wanderausstellung fasst kompakt alle Einzelausstellungen zusammen. Im Nürnberger Stadtmuseum Fembo-Haus ist sie noch knapp zwei Monate, bis 3. September, zu sehen. Menschen quer durch die Jahrhunderte stehen im Mittelpunkt, die aus Glaubensgründen, wegen wirtschaftlicher Not oder Krieg ihre Heimat verlassen mussten.

Heinrike Paulus/gg

Nähere Informationen gibt es unter www.evangelische-migrationsgeschichten.com


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