Barrierefrei durch Eichstätt
Barocke Kirchen, prachtvolle Paläste, eine gewaltige Burganlage auf dem Berg, viele große Plätze, aber auch enge Gassen, Cafés, Gasthöfe und kleine Läden, Eichstätt hat vieles zu bieten. „Doch so schön die Altstadt auch sein mag, bringt sie leider viele Hürden für Menschen mit Behinderung mit sich“, heißt es im Vorwort eines eben erschienen Stadtführers, der sich speziell an eben diese Zielgruppe richtet. Entstanden ist er in einem sogenannten Projekt-Seminar am Eichstätter Gabrieli-Gymnasium (GG) in Kooperation mit der Offenen Behindertenarbeit (OBA) des Caritas-Zentrums St. Vinzenz in Ingolstadt und der OBA der Caritas-Sozialstation Eichstätt. 15 Schülerinnen stellten kurz vor Ferienbeginn ihr umfangreiches Werk vor.
Praxistest mit Betroffenen
Sehr schnell seien alle 15 Plätze in dem Seminar am GG vergeben gewesen, erinnert sich Nicole Christoph. Sie unterrichtet Deutsch, Englisch und Geschichte und sei über persönliche Kontakte zu Heidi Bam berger auf die Idee aufmerksam gemacht worden, einen Stadtführer für Menschen mit Behinderung zu erstellen, erzählt sie. Bamberger, Mitarbeiterin der OBA in Ingolstadt, hatte im Vorjahr ein Projekt des Apian-Gymnasiums in Ingolstadt begleitet, bei dem ein Stadtführer in einfacher Sprache entstanden war (die KiZ berichtete). In Eichstätt holte sich das GG mit Katrin Wintergerst als Partner noch die OBA Eichstätt ins Boot. Zum Schuljahresbeginn im September 2022 waren die Caritas-Mitarbeiterinnen mehrmals im Unterricht, stellten das Projekt vor, gaben Tipps und Anregungen. Ihr sei es besonders wichtig gewesen, dass die Schülerinnen mit Menschen mit Behinderung in Kontakt kommen, sagt Bamberger. Und so besuchten mehrmals Schülerinnen und Schüler mit geistiger Behinderung vom Förderzentrum St. Vinzenz das GG. Sie bekamen erste Entwürfe des Stadtführer zu sehen und gingen unter anderem in den Hofgarten, ins Mortuarium am Dom und zum Residenzplatz. Die GG-Schülerinnen stellten Textentwürfe zu den Sehenswürdigkeiten vor und baten um Rückmeldung, wie verständlich alles sei oder wie nützlich die beschriebenen Hinweise seien. So bekamen die Gymnasiastinnen aus erster Hand Verbesserungsvorschläge.
Antje Brunsemann vom Büro für Leichte Sprache bei St. Vinzenz gab am GG eine Einführung in Leichte Sprache. Wichtig für solche Texte seien unter anderem: kurze Sätze, einfache Wörter, viele Bilder und keine Verwendung des Konjunktivs. In einer weiteren Unterrichtsstunde erhielt das P-Seminar Besuch von Angelika Scherupp, die eine Sehbehinderung hat, und von Birgit Fehn, die gehörlos ist.
Beide Frauen gaben Auskunft über ihre Lebenswelten, die Einschränkungen im Alltag, und was ihnen helfen würde in einem Stadtführer. Mit all diesen Informationen und viel theoretischem Hintergrundwissen machten sich die GG-Schülerinnen an die Umsetzung des Projekts. Christoph schickte sie in die Stadt, um zu entdecken, wo es bereits einen Zugang für Rollstuhlfahrer gibt oder behindertengerechte Toiletten vorhanden sind. Zwei Schülerinnen, verrät die Lehrerin, seien zu Fuß zur Frauenbergkapelle hoch, um die Lage zu erkunden. Im Stadtführer schreiben sie dann dazu, dass der Kreuzweg „für Menschen mit physischen Beeinträchtigungen schwer zu erreichen“ sei. Die Schülerinnen recherchierten auch, wo es Parkplätze für Menschen mit Behinderung gibt oder Rampen und Aufzüge. Im Stadtführer geben Piktogramme dazu schnell Auskunft.
Zum Hören und auch Sehen
Nach und nach entstanden im P-Seminar die Texte über die Sehenswürdigkeiten, über Freizeitangebote wie das Freibad oder Restaurants und auch zum Domschatz- und Diözesanmuseum. Die Texte landeten zunächst bei Christoph, die sie dann weiterleitete an das Caritas-Zentrum St. Vinzenz zum Büro für Leichte Sprache. Dort überprüfte Brunsemann alles und gab die Texte zum Gegenlesen auch Menschen mit Behinderung.
Dass es am Ende ein Stadtführer in einfacher und nicht in Leichter Sprache geworden ist, liegt an den strengen Vorgaben. Bei Leichter Sprache müssen neben inhaltlichen auch formelle Kriterien beim Druck erfüllt werden. Dies wäre zu aufwändig geworden, erklärt Brunsemann.
Fast 100 Seiten stark ist der barrierefreie Stadtführer geworden. Er gliedert sich in acht Kapitel wie „Sehenswertes“, „Museen“, „Essen und Trinken“, „Erholung“ oder „Einkaufen“. Es gibt viele Bilder, übersichtlich gestaltete Info-Blöcke, Adressen und weiterführende Hinweise. Neben einer Version in einfacher Sprache erstellten die GG-Schülerinnen eine Ausgabe in normaler Sprache sowie Videos mit Gebärdensprache und eine Audioversion. Um die Texte aufzunehmen, war eigens ein mobiles Studio an der Schule aufgebaut worden. Die vier Filme und alle Hörproben sind über einen QR-Code abrufbar und online gibt es zudem eine Hör-Version in einfacher Sprache.
„Man muss mal irgendwo anfangen“, sagt Pfarrer Alfred Grimm im Gespräch mit der KiZ zum Schul-Projekt. Der Diözesan-Verantwortliche für Behindertenpastoral im Bistum hat einige Texte vor der Veröffentlichung zum Lesen und Korrigieren bekommen. Mit dem Ergebnis ist er zufrieden, besonders die QR-Codes seien sinnvoll, würden junge Menschen mit Behinderung ansprechen, glaubt er. Er findet Texte in Leichter Sprache sehr wichtig, um viel mehr Menschen zu erreichen. Das habe auch die Kirche erkannt. Es gebe nicht nur die Evangelien in Leichter Sprache, sondern auch das Hochgebet oder andere Texte. Er selbst möchte demnächst einen Führer zum Eichstätter Dom (siehe Beitrag S. 4) erarbeiten.
Bei der Vorstellung des Stadtführers an der Schule gab es lobende Worte von Eichstätts dritter Bürgermeisterin Martina Edl. Eichstätt wolle „allen Menschen, gleich ob mit oder ohne Einschränkungen, dieselben Möglichkeiten anbieten, unsere wunderschöne Stadt kennenzulernen“. Sie informierte, dass die Kosten für den gedruckten Stadtführer, die Übersetzung in Leichte Sprache sowie für die Ton- und Videoaufnahmen von Caritas und Stadt durch Städtebau-Fördermittel von Bund und Land getragen wurden. Das Projekt belege, dass „Barrieren für Menschen mit Einschränkungen abgebaut werden können, wenn viele an einem Strang ziehen“, so Edl. Sie wies noch auf den Behindertenbeirat der Stadt hin, der mit zu den Impulsgebern des Projekts zählt.
Eichstätts stellvertretender Caritas-Direktor Andreas Steppberger hob besonders die intensive Zusammenarbeit des Gymnasiums mit St. Vinzenz hervor. Durch die Begegnung mit Menschen mit Behinderung „haben sie Inklusion deutlich erlebbar gemacht“, würdigte er die Schülerinnen. Sehr zufrieden mit dem Eichstätter Stadtführer ist auch Heidi Bamberger. Er habe „viel Arbeit gemacht“, aber biete jetzt genau die Informationen, die Menschen mit Behinderung brauchen. Bei Neuerungen oder Änderungen „darf er auch gerne fortgeschrieben werden“, erklärt sie. Ihr Wunsch außerdem: „Dass andere Städte nachziehen.“ Und: dass es vermehrt Stadtführungen in Leichter Sprache gibt. Die seien hilfreich nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für Menschen mit Migrationshintergrund. Sie weist auch darauf hin, dass beim Caritas-Zentrum in Ingolstadt Texte in Leichte Sprache übersetzt werden können. Die Caritas selbst habe beispielsweise die Hausregeln für das Frauenhaus übersetzen lassen, und die Stadt Ingolstadt frage immer wieder nach Übersetzungen, gibt die Leiterin des Übersetzungsbüros, Antje Brunsemann, Auskunft.
Andrea Franzetti
Der Stadtführer ist in Eichstätt bei der Tourist-Information und der Caritas-Kreisstelle in gedruckter Form erhältlich. Die Audiodateien und Videos in Gebärdensprache sind abrufbar unter: www.eichstaett.de
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