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19.10.2018

Der Wahn forderte Tausende von Toten

Foto: Buchner

Fachgespräch mit Bischof (v. r.): Gregor Maria Hanke und die Professoren Wolfgang Behringer und Johannes Dillinger. Foto: Buchner

Bischof Hanke sieht historische Verantwortung für Hexenverfolgung / Konferenz in Eichstätt.

Eine Tagung, die das Sensationsbedürfnis nicht befriedigt haben dürfte, sondern im Gegenteil mit gängigen Stereotypen und Vorurteilen aufräumte: Der Eichstätter Diözesangeschichtsverein hat sich bei seinem diesjährigen Symposium mit den Hexenverfolgungen in der frühen Neuzeit befasst.

Rund 100 Teilnehmer und Gäste hatten sich zu der zweitägigen Veranstaltung angemeldet, renommierte Wissenschaftler befassten sich dabei betont sachlich mit dem brisanten Thema, scheuten aber auch Kontroversen nicht. Der Hexenwahn, dessen Kernzeit nicht im vermeintlich „finsteren“ Mittelalter lag, sondern in der Zeit der Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert, nahm in Europa teilweise unfassbare Ausmaße an. Zehntausende Menschen, zumeist Frauen, wurden als „Hexen“ denunziert, schwer gefoltert und nach den so erzwungenen Geständnissen oft bei lebendigem Leib verbrannt. Die Zahl der Hinrichtungen wird auf 60.000 geschätzt. Als Zentren der Verfolgung gelten die drei fränkischen  Hochstifte Würzburg, Bamberg und Eichstätt, die Fürstpropstei Ellwangen sowie das Deutschordensgebiet Ellingen. Religiöse Spannungen, Ängste durch politischen und sozialen Wandel, Armut und Not, bedingt durch Naturkatastrophen und auch klimatische Veränderungen – die Gründe für den kollektiven Hexenglauben, der im Dreißigjährigen Krieg seinen Höhepunkt fand, sind vielfältig. Galten katholische Herrschaftsgebiete einst als besonders anfällig für diesen Wahn, halten ihn Forscher heute eher für konfessionsunabhängig. „Monströser Irrsinn“ Bischof Gregor Maria Hanke sieht die Diözese Eichstätt dennoch in historischer Verantwortung: Zu Beginn der Tagung äußerte er Trauer und Bestürzung über die „unentschuldbaren Verbrechen“, für die vor allem einer von Hankes Amtsvorgängern, Fürstbischof Johann Christoph von Westerstetten (1612-37) verantwortlich war. Die Hexenprozesse seien weder mit der Vernunft noch mit dem Evangelium vereinbar gewesen, fügte der heutige Bischof hinzu: „Als Christen müssen wir uns dem damals begangenen Unrecht stellen.“ Hanke sprach von einem „monströsen Irrsinn“. Es sei aber nicht nur für die Kirche, sondern für die Gesellschaft insgesamt notwendig, „die sozialen Mechanismen zu verstehen, die diesen Wahn ausgelöst, begünstigt, verstärkt und am Leben gehalten haben“.

Einer der europaweit wichtigsten Forscher zur Hexenverfolgung, Prof. Dr. Wolfgang Behringer aus Saarbrücken, gab in seinem Eingangsvortrag einen Überblick über das historische Phänomen. Seinen Worten zufolge war der Hexenwahn in jenen Territorien am stärksten, die besonders arm und rückständig waren. Dies traf in der frühen Neuzeit vor allem auf die geistlichen Territorien zu. Behringer verwies zugleich auf die wissenschaftliche Notwendigkeit, das „Mikroskop“ anzusetzen und in die einzelnen Regionen zu blicken – die Konferenz tat dies in beeindruckender Weise am zweiten Konferenztag mit einem Blick auf konfessionsverschiedene Territorien, die in der frühen Neuzeit ganz oder teilweise im damaligen Bistum Eichstätt lagen (siehe nebenstehenden Bericht).

Für gewisses Aufsehen sorgte sodann der Würzburger Archivar Robert Meier, der unter dem Titel „Manipulation und Quellenkritik“ über Julius Echter von Mespelbrunn (1573-1617) sprach. Anhand neuerer Quellenfunde versuchte er nachzuweisen, dass der berühmte Würzburger Fürstbischof entgegen bisheriger Annahmen keineswegs ein fanatischer Hexenjäger gewesen sei. Der Druck bei der Verfolgung von Frauen sei „von unten“ gekommen, während das Fürstbistum eher auf der Bremse gestanden sei. Behringer widersprach dieser Darstellung nur verhalten; die Diskussion über den Fall Julius Echter wird sicherlich weitergehen.

Ausführlich stellten Prof. Dr. Erich Naab (Eichstätt) sowie Reiner Kammerl (Weißenburg) die Rechtsgutachten der Universität Ingolstadt sowie des Nürnberger Rats aus dem 17. Jahrhundert in Sachen „Hexen“ vor. Auch hier ergaben sich kaum Unterschiede zwischen den Konfessionen. Keine Lynchjustiz Einen kultur- und sozialgeschichtlichen Überblick über Entstehung und Entwicklung der Hexenverfolgung gab Prof. Dr. Johannes Dillinger von der Universität Oxford in einem öffentlichen Vortrag am Abend des ersten Konferenztags. Nüchtern, sachlich und prägnant bildete Dillinger entlang der nachprüfbaren historischen Fakten den Stand der Forschung ab, lieferte Begriffsdefinitionen und Statistiken, beleuchtete die Motive der involvierten Parteien. Dabei ließ er keinen Platz für Spekulatives oder gar Verschwörungstheorien. Allein auf dem Boden der heutigen Bundesrepublik Deutschland habe es rund 20.000 Hexenprozesse gegeben. In der Regel seien die Verfahren vor weltlichen Gerichten abgehalten worden, aufgrund der Annahme, dass Hexerei ein Delikt sei. Es habe sich um formaljuristisch korrekte, wenn auch nicht zwingend nötige Prozesse gehandelt, nicht etwa um Lynchjustiz.

Bernd Buchner / Michael Heberling, Kirchenzeitung Nr. 42 vom 21. Oktober 2018

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