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12.07.2023

Mitarbeitervertretung sucht Verstärkung

Mitarbeitervertretung sucht Verstärkung

Bewährte Zusammenarbeit: die Vorsitzenden der zwei Diözesanarbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen (DiAG MAV A und B) Richard Ulrich und Gisela Hirsch. Foto: Schneidt

Das in der Weimarer Reichsverfassung verbriefte und bis heute gültige Selbstbestimmungsrecht der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften, die eigenen rechtlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich zu regeln, ist in der gesellschaftlichen Debatte über die Kirche in Deutschland immer wieder Thema. Das betrifft auch und besonders Fragen des Arbeitsrechts und konkret der Interessenvertretung der Mitarbeitenden. Die sind in der Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) geregelt.

Im Bistum Eichstätt gibt es zwei Diözesanarbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen (MAV). Die KiZ sprach aus aktuellem Anlass mit den beiden Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaften, Richard Ulrich und Gisela Hirsch.

KiZ:In diesen Tagen geht ein Schreiben von Amtschef Thomas Schäfers und Caritasdirektor Alfred Frank gemeinsam mit den beiden diözesanen Arbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen im Bistum an alle Einrichtungsleiter und Pfarrstiftungen, in dem unter anderem zu lesen steht: „Bitte sorgen Sie in Ihrer Einrichtung bzw. Institution dafür, dass eine Mitarbeitervertretung (MAV) gebildet wird“. Welches ist der Hintergrund für diesen Aufruf? Richard Ulrich: In unserem Zuständigkeitsbereich gibt es zwar in den größeren Einrichtungen wie dem Bischöflichen Ordinariat, den diözesanen Schulen oder den Kita gGmbHs Mitarbeitervertretungen, aber so gut wie gar nicht in den Kirchenstiftungen in der Fläche. Aber auch dort sind viele Mitarbeitende beschäftigt, die im Rahmen der Dienstgemeinschaft aktiv an der Gestaltung und Entscheidung über die sie betreffenden Angelegenheiten mitwirken sollten.

Gisela Hirsch: Mit dem Schreiben wollen wir Dienstgeber und Mitarbeitende auffordern, der bischöflichen Vorgabe Folge zu leisten, wonach in allen MAVfähigen Einrichtungen auch MAVen gebildet werden sollen.

Für Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen in Deutschland gilt bekanntlich das staatliche Betriebsverfassungsgesetz nicht. Stattdessen gibt es in der katholischen Kirche eine Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO), die die betriebliche Mitbestimmung regelt. Wie ist die Lage in den Einrichtungen der Diözese Eichstätt, des diözesanen Caritasverbands mit seinen angeschlossenen Fachverbänden, und in den Vereinen und Institutionen, die der kirchlichen Grundordnung unterliegen?

Hirsch: Im Caritasverband Eichstätt e. V. sind momentan rund 3.000 Mitarbeitende tätig, in den Sozialstationen, die eigene Vereine bilden und zu den korporativen Mitgliedern des Caritasverbands Eichstätt e. V. zählen, nochmal rund 950 Mitarbeitende. Im Bereich der Caritas in der Diözese Eichstätt sind es vor allem die Einrichtungen der Altenhilfe (Seniorenheime und Sozialstationen), die noch keine MAV beziehungsweise keine MAV mehr haben. Zehn von 20 Caritas-Seniorenheimen haben keine MAV, bei den Sozialstationen sind es fünf von 16. Bei den angeschlossenen Fachverbänden – Sozialdienst Katholischer Frauen, Malteser und Kreuzbund – gibt es eine MAV, die auch Mitglied der DiAG MAV B ist.

Ulrich: In unserem Bereich gibt es aktuell 14 MAVen. Im Bereich der Verbände und Kirchenstiftungen gibt es noch viele Einrichtungen, die von der Größe her durchaus eine MAV bilden könnten. Bei den Kirchenstiftungen gibt es 40 Einrichtungen, die mehr als 15 Mitarbeitende beschäftigen und somit eine MAV mit drei Mitgliedern wählen könnten.

Wie steht es im Bistum um die Bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sich in einer MAV zu engagieren?

Hirsch: Die Bereitschaft sich für die Mitgliedschaft in einer MAV zur Wahl zu stellen, ist in den einzelnen Einrichtungen unterschiedlich groß. Manche Mitarbeitende führen die Sorge vor zusätzlicher Belastung an, die sie zögern lässt, zu kandidieren. Tatsächlich sieht die Mitarbeitervertretungsordnung aber eine Freistellung im erforderlichen Umfang für die Tätigkeit in der MAV vor oder bei größeren Einrichtungen ab 300 Mitarbeitenden sogar eine nach Stunden bemessene Freistellung. Allerdings ist dies in manchen Einrichtungen gegenüber den Leitungen nicht ganz so einfach durchzusetzen. Dieses Vorgehen ist bedauerlich und entspricht in keinster Weise dem bischöflichen Recht, das seinen Niederschlag in der diözesanen MAVO findet. In solchen Fällen können die DiAGen füreinander unterstützend tätig sein.

Ulrich: Manchmal wird von den Leitungen vorgebracht, „Meine Mitarbeitenden wollen keine MAV“ oder auch „Bei uns ist niemand bereit für die MAV zu kandidieren“. Diese Aussagen treffen vermutlich in manchen Fällen auch tatsächlich zu. Aber ob in solchen Einrichtungen ein Wahlverfahren tatsächlich eingeleitet wurde, ist leider oft nicht nachzuprüfen.

Hirsch: Die Bereitschaft zur Kandidatur ist aus Sicht der DiAG maßgeblich davon abhängig, ob die Grundsätze der MAVO in einer Einrichtung gelebt werden oder nicht. Eine mögliche Erklärung für den Rückgang der Zahl an MAVen im Caritasbereich könnte auch in der Tatsache liegen, dass die letzten MAV-Wahlen 2021 mitten in der Corona-Hochphase stattgefunden haben, in der zumindest im Pflegebereich „Land unter“ geherrscht hat, die Belastung für die Mitarbeitenden enorm hoch war und die Vertretung durch eine MAV eher nicht im Vordergrund stand. Es wäre sehr wünschenswert, dass mit dem Ende der Pandemie ein neuer Anfang in der Mitarbeitervertretung mit der Neu-Gründung von MAVen gelingt.

Während es im staatlichen Kontext Betriebsräte als Vis-avis der Arbeitgeber gibt, wird in der Kirche der Leitgedanke der „Dienstgemeinschaft“ betont. Er besagt, dass Dienstgeber und Mitarbeitende zusammenwirken, um den Auftrag der Einrichtung zu erfüllen und damit an der Sendung der Kirche mitzuwirken. So alt wie die Idee der Dienstgemeinschaft ist die Kritik daran: Die MAVen hätten im Vergleich zu Betriebsräten weniger Rechte zur Durchsetzung ihrer Interessen. Stimmt das?

Hirsch : Ja, das stimmt. Die Mitwirkungs- beziehungsweise Beteiligungsrechte in der Mitarbeitervertretungsordnung sind nicht so stark und ausgeprägt wie die im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) verbrieften Rechte, aber – und das soll nicht unerwähnt bleiben – stärker als die des Personalvertretungsrechts, welches in staatlichen und kommunalen Einrichtungen gilt. Die MAVO beinhaltet nur wenige Tatbestände, in denen die MAVen tatsächlich zu betrieblichen Maßnahmen ihre Zustimmung erteilen müssen. Häufiger wird das Recht auf Information, Anhörung und/oder Mitberatung gewährt.

Ulrich: Der größte Vorteil gegenüber dem BetrVG ist, dass nach MAVO eine MAV gegründet werden muss, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Der Dienstgeber hat dafür Sorge zu tragen, das Verfahren zur Gründung einer MAV einzuleiten.

Welche Vorzüge hat das Modell „Dienstgemeinschaft“?

Hirsch : Die MAVO setzt auf Zusammenwirken von Dienstgeber und Mitarbeitervertretung auf „Augenhöhe“, was für beide Seiten vorteilhaft sein kann, wenn die Ordnung „gelebt“ wird.

Ulrich: Die Ordnung setzt auf das Prinzip der gütlichen Einigung und den Austausch von Argumenten, bietet aber auch Möglichkeiten, berechtigte Anliegen und verbriefte Rechte von Einigungsstelle und kirchlichem Arbeitsgericht prüfen zu lassen. Der gemeinsame Dienst an der Erfüllung des Auftrags der Einrichtung und des Sendungsauftrages der Kirche, verpflichtet beide Seiten, Dienstgeber und MAV beziehungsweise Mitarbeiterschaft, zur Zusammenarbeit.

Die Deutsche Bischofskonferenz teilte unlängst mit, dass die Arbeit an der Novellierung der MAVO begonnen habe. Insbesondere wolle die eingesetzte Arbeitsgruppe jetzt prüfen, ob es zukünftig eine Teilhabe und praktische Einflussnahme von Mitarbeitenden bezüglich wirtschaftlicher und unternehmerischer Entscheidungen geben kann. Wie stehen Sie dazu?

Hirsch: Die Rechte der Mitarbeitervertretungen sollen nach Wunsch der MAVen gestärkt und dem Betriebsverfassungsgesetz angeglichen werden. Hierzu haben die MAVen im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz einen Forderungskatalog zur Novellierung der MAVO durch ihre Bundesvertretung, der Bundesarbeitsgemeinschaft der MAVen (BAG MAV), vorgelegt. Dieser Forderungskatalog soll in dieser Arbeitsgruppe diskutiert und im Sinne der MAVen möglichst 1:1 umgesetzt werden.

Ulrich: Im Moment gibt es bei uns keine wirksame Unternehmensmitbestimmung, lediglich die Möglichkeit in bestimmten Einrichtungen über Wirtschaftsausschüsse beratend mitzuwirken. Perspektivisch haben die MAVen und die DiAGen großes Interesse daran, dass die Unternehmensmitbestimmung auch für kirchliche Mitarbeitende möglich wird.

Fragen: Michael Heberling


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