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26.07.2023

„Schmerzhaft ehrliche“ Spurensuche

Peter Grimm: Aufarbeitung von Missbrauch

Auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung Neumarkt-Roth-Schwabach (links Geschäftsführer Klaus Schubert) referierte Peter Grimm (r.) in Neumarkt. Foto: Gess

Als Peter Grimm kurz nach 19 Uhr ans Mikrofon tritt, um im Neumarkter Landratsamt auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung über Missbrauch und Aufarbeitung in der katholischen Kirche zu sprechen, hat er schon einen langen Tag hinter sich. Der pensionierte Kriminalbeamte aus Roth ist um vier Uhr früh aufgestanden und hat sich zunächst auf den Weg nach Passau gemacht zu einem Treffen der Unabhängigen Aufarbeitungskommissionen in den bayerischen (Erz-)Diözesen. Bischof Stefan Oster war mit von der Partie, ebenso der emeritierte Würzburger Kirchenrechtler (und Eichstätter Diözesanpriester) Heribert Hallermann.

Grimm, der sich im Pfarrgemeinderat seiner Heimatgemeinde wie auch im Eichstätter Diözesanrat engagiert, liegt viel daran, dass sexueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt in der Kirche ans Licht kommen. Deshalb hat er, zusammen mit Doris Templer, den Vorsitz der derzeit achtköpfigen Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) im Bistum übernommen. Inzwischen ist er auch Bundesvorsitzender der UAK‘s der deutschen (Erz-)Diözesen.

Was er gegen eine Aufwandsentschädigung leistet, ist eigentlich ein Vollzeitjob: 35, 40 Stunden
pro Woche investiert Grimm in die Aufarbeitung. Dazu gehört vor allem die Einsichtnahme in die Akten auffällig gewordener Kleriker. Die rechtlichen Grundlagen dafür hatte Bischof Gregor Maria Hanke 2022 geschaffen. Ziel ist nicht nur die quantitative Erhebung von Missbrauch, sondern auch das Aufdecken von Strukturen, die Fehlverhalten erleichtert oder sogar vertuscht haben. Ebenso traurig wie spektakulär der Fall „FD-04“, der „wie ein Spinnennetz“, so Grimm, mit immer neuen Querverbindungen immer größere Dimension angenommen habe. Vor einem Jahr waren Deutsche Bischofskonferenz und „Adveniat“ mit ihrer Untersuchungen zu sexuellen Missbrauch durch „Fidei-Donum“-Priester an die Öffentlichkeit gegangen, die Spur führte auch zu einem Priester aus dem Bistum Eichstätt. Dass sich das diözesane Aufarbeitungsteam nur wenige Tage zuvor ebenfalls diesen Fall vorgenommen hatte, „war reiner Zufall“, erzählt Grimm: „So konnten wir innerhalb von elf Tagen einen Zwischenbericht erstellen“.

Nicht erst seit gestern

„Schmerzhaft ehrlich“, müsse Aufarbeitung geschehen, meint Grimm. Unter dieses Motto hat er auch den Infoabend in Neumarkt gestellt, dem nach seinem Wunsch noch weitere im ganzen Bistum folgen sollen. Die Runde, der in Person des stellvertretenden Dekans Gerhard Ehrl aus Lauterhofen auch ein Priester angehört, ist sehr überschaubar. Ein Teilnehmer übt offen Kritik an diözesanen Aufarbeitungskommissionen. Diese seien nur „ein Ablenkungsmanöver der katholischen Kirche“, stellt er fest. Die Bischöfe machten unterdessen „genau das, was sie immer machen“.

Grimm geht mit Kritik sachlich um, antwortet mit Bedacht. Nur einmal kommt er in seinem Vortrag auf eine Sache zu sprechen, die ihn mächtig gewurmt hat: Im April habe auf Initiative einer Partei im Bayerischen Landtag eine Sachverständigenanhörung zum Thema „Aufarbeitung sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in der Kirche“ stattgefunden: „Dort wurde sehr viel über unsere Kommissionen gesprochen. Aber es war keiner von uns eingeladen.“ Sein Vorwurf: Hier werde Aufarbeitung für politische Profilierung in Wahlkampfzeiten instrumentalisiert, für Betroffene sei es „ein Bärendienst“.

Wie lange schon über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche berichtet wird, zeigt Grimm in einem kurzen Überblick: 1993 erhält im Bistum Magdeburg erstmals in Deutschland ein Opfer eine Schadensersatzleistung. Im folgenden Jahr stürzen Enthüllungen im tief katholischen Irland die Kirche in eine schwere Krise. In den USA führten Schadensersatzforderungen von Opfern mittlerweile zu Insolvenzen von Diözesen. Massive Veränderungen in der katholischen Landschaft Deutschlands habe die 2018 vorgestellte MHG-Studieverursacht, stellt Grimm fest. MHG, das stehe für „Mannheim, Heidelberg, Gießen“, die Instituts-Standorte der beteiligten Wissenschaftler, die erschreckende Zahlen präsentierten: Im Untersuchungszeitraum von 1946-2014 waren 3.677 Kinder und Jugendliche von sexuellem Missbrauch durch Kleriker betroffen. In Folge kam die Bischofskonferenz 2020 in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Staat überein, Aufarbeiteungskommissionen unter Einbindung Betroffener zu bilden. Im Bistum Eichstätt konstituierte sich die UAK im Juni 2021.

„Aktuell das Beste“

Eine Zuhörerin wundert sich, wie man so eine brisante Aufgabe an Ehrenamtliche übertragen könne. Doch Grimm verweist darauf, dass in den Kommissionen durchwegs Experten mit großen Knowhow zu finden seien, ehemalige Justizminister und Landgerichtspräsidenten, Staatsanwälte, Mediziner und Psychologen. Außerdem, fügt er an, „hat Ehrenamtlichkeit auch etwas mit Unabhängigkeit zu tun“.

Die Spurensuche, so macht Grimm deutlich, ist dennoch nicht leicht. So sei bei Orden Zugang zu Akten kaum möglich, „denn die sind in Rom“. Auch müsse der Informationsaustausch zwischen den Bistümern verbessert werden – Stichwort Versetzung auffällig gewordener  Geistlicher in andere Diözesen. Durchgängigkeit, Ausschöpfung aller kirchen- und datenschutzrechtlichen Möglichkeiten, sei unerlässlich.

Die Aufarbeitung innerhalb der katholischen Kirche sei nicht perfekt, meint Grimm, „aber sie ist das Beste, das aktuell in Deutschland von Institutionen umgesetzt wird“. Wobei letztlich gar nicht entscheidend sei, wer vorangehe. „ich will bloß, dass alle etwas machen!“

Gabi Gess


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