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22.06.2022

Steinerne Schätze des Jurabistums

Weltberühmtheiten aus Kalk, kunstgeschichtlichen Revolutionen und steinernem Teufelswerk

„Die Solnhofener Steinbrüche dehnen sich über einen Umkreis von drei bis vier Stunden aus; unser Mittelbild aber zeigt die eigentliche Seele, den Markt, das Lager, den Mittelpunkt des Verkehrs“, heißt es über die Illustration zu einem Reisebericht in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ im Jahr 1856. Foto: Wikipedia

Von einer „steinernen Schatzkammer der Kunst“ ist im Jahr 1856 in einem Artikel in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“, dem ersten erfolgreichen deutschen Massenblatt, die Rede. Gemeint ist damit „der Altmühlgrund in Franken mit seinen freundlichen wohlhabenden Ortschaften“, der „eine Weltberühmtheit umfasst, die Solnhofener Kalkbrüche, welche die sämmtlichen Lithographen der Erde mit den nöthigen Steinen versorgen“. Es ist vor allem das 1798 von Alois Senefelder entwickelte Verfahren der Lithografie, einer Flachdrucktechnik mit Solnhofener Kalkstein, die den Verfasser für die „Schatzkammer“ einnimmt, „aus welcher für Millionen die Freuden der Kunst und für Tausende Reichthümer gehoben worden sind“. 

Naturstein von Weltrang

Tatsächlich jedoch bargen die Steinbrüche des Jurabistums Eichstätt bereits vor Senefelders Geniestreich einige der wichtigsten Kulturgüter der Umgebung, deren Entstehung bis in die erdgeschichtliche Zeit des Jura zurückreicht. Zwei heimische Natursteine sind von herausragender Bedeutung für die Kultur- und Kirchengeschichte nicht nur im Bistum, sondern weltweit: der Solnhofener Plattenkalk, bekannt als Solnhofener Naturstein, und der Jura-Kalkstein, vermarktet als Jura-Marmor. Beide sind mehr als 150 Millionen Jahre alt. Solnhofener Plattenkalk kommt vor allem in der Region um Solnhofen und Langenaltheim im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, im Westen Eichstätts sowie in Mörnsheim, Blumenberg, Schernfeld, Rupertsbuch und Wintershof im Landkreis Eichstätt in zahlreichen Steinbrüchen vor. Jura-Marmor stammt aus Abbaugebieten, die früher neben Treuchtlingen und Pappenheim lagen, heute wird er vor allem im Raum Titting und Kaldorf abgebaut. 

Eine jahrhundertealte Erfolgsgeschichte ist es, die den heimischen Naturstein zum internationalen Verkaufsschlager werden ließ, und diese wurde vor allem durch dessen Verwendung in sakralen Bauten geschrieben. Weltweit finden sich Solnhofener Platten als Boden- und Treppenbeläge in Kirchen und Klöstern wie in profanen Bauten, historische Bildhauer schufen Bildwerke und gestaltete Werksteine von europäischem Rang aus Jura-Marmor. Steinernes Zeugnis davon legt etwa der Eichstätter Dom ab, in dem die regionalen Materialien reiche Verwendung fanden. Prachtvolle Kunstwerke wie die lebensgroße Statue des heiligen Willibald, die Loy Hering zugeschrieben wird, oder der Pappenheimer Altar mit einer Gesamt-höhe von elf Metern, sind aus dem heimischen Juragestein geschlagen. Aufgrund des Abbaus von Jura-Kalkstein in großen Blöcken eignet er sich besonders gut für die Behandlung durch Steinmetze und für großformatige Werkstücke. Zudem ist Jura-Kalkstein besonders witterungsbeständig, weshalb er auch im Außenbereich gerne Verwendung findet, etwa als Material für Mauern oder auch Grabsteine. Solnhofener Naturstein hingegen wird eher im Innenbereich in Form von Boden- und Wandfliesen eingesetzt, im 16. und 17. Jahrhundert war er auch bei Künstlern beliebt für die Erstellung kleinformatiger Reliefs.

Fossile Fundstücke

Die Faszination, die von den Solnhofener Platten ausgeht, liegt auch in deren fossilen Fundstücken. Entstanden ist das Gestein durch schichtweise Ablagerungen in vom Meer gefluteten Lagunen, in deren hohem Salzgehalt Tiere und Pflanzen nicht verwesten. 

Auch die Fossilien sind eng verwoben mit der diözesanen Historie des Bistums. So beherbergt die als Wahrzeichen über Eichstätt thronende Willibaldsburg seit den 1970er-Jahren das Jura-Museum mit den Schwerpunkten Plattenkalke und ihre Fossilien. Ein Großteil der Ausstellungsstücke entstammt der Beschäftigung des Bischöflichen Seminars mit Naturgeschichte. Diese war nach Übernahme des Lehrbetriebs durch die Jesuiten im Jahr 1614 fester Bestandteil der Ausbildung angehender Geistlicher, um die Ehrfurcht vor der göttlichen Schöpfung zu fördern. 1773 stellte der Jesuit Ignaz Pickl seine naturwissenschaftliche Sammlung dem Collegium Willibaldinum zur Verfügung, diese ging im Zuge der Säkularisation verloren. Neu aufgebaut und vergrößert wurde die Lehrsammlung im 19. und 20. Jahrhundert, vor allem durch den Botaniker und Priester Franz Xaver Mayr, der an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Naturwissenschaften lehrte und sich in Eichstätt vor allem der Geologie zuwandte. Er ergänzte die paläontologische Abteilung der Seminarssammlungen mit zahlreichen Funden, die er, mit Hammer und Rucksack ausgestattet, auf vielen Wanderungen und in Steinbrüchen gemacht und mühevoll nach Hause geschleppt hatte. Von Steinbruchbesitzern kaufte er Fossilien und Steine, die er häufig wegen zu geringem Budget sogar aus eigener Tasche zahlte. Von Mayr stammt auch das Eichstätter Exemplar des Archaeopteryx, das er selbst bei der Gründungsversammlung der Freunde des Jura-Museums vorstellte. Seine Sammeltätigkeit bildete die wesentliche Grundlage für das Jura-Museum, von dem Mayr bereits in den 1930er-Jahren geträumt hatte. Das Museum, das sich heute in der Trägerschaft der Stiftung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt befindet, wurde 1976 gegründet, zwei Jahre nach Mayrs Tod.

„Teufelswerk“

Im Mittelalter gaben Solnhofener Fossilien sogar Anlass zu Spekulationen über „Teufelswerk“: Die „Saccocoma tenella“, eine ausgestorbene Gattung der Seelilien, hielt man für Hinterlassenschaften der biblischen Sintflut und damit Zeichen des Teufels. 1616 hielt der Nürnberger Apotheker, Botaniker und Verleger Basilius Besler, der Herausgeber des Prachtbandes über den Eichstätter Garten, „Hortus Eystettensis“, die Versteinerungen für Spinnen und sprach von den „Eichstätter Spinnensteinen“. 1730 dann kam der Altdorfer Mediziner und Geologe Johann Jakob Baier der Sache am nächsten, als er folgerte, dass es sich um Seesterne handeln könnte.

Stein um Stein

Fossile Schätze wie wertvolles Rohmaterial wurden und werden unter großer körperlicher Anstrengung aus den Brüchen geborgen. Auch wenn der heilige Sola als Schutzpatron im Bistum seine Hand über die Schwerarbeiter hielt und hält, konnte doch ein wenig Eigeninitiative nicht schaden: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gründete sich im Zuge der christlichen Arbeiterbewegung eine eigene christliche Gewerkschaft, die etwa 900 der damals 1.200 in den Solnhofener Brüchen tätigen Arbeiter organisierte. 

Die Fluten des Jura-Meers haben sozusagen den Stein ins Rollen gebracht: Mittlerweile haben sich die Schatzkammern des Jurabistums für die ganze Welt geöffnet.

Verena Lauerer


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