Wenn Erinnerung Versöhnung fördert
Im Landlmuseum der Gemeinde Mühlhausen ist das Gebetbuch von Julius Freising künftig zu sehen. Seine Großnichte Monika Springer (3. v. l.) kam zur Übergabe nach Sulzbürg. Mit im Bild (v. l.) Dr. Franz Heiler von der Katholischen Universität Eichstätt, Regens Domkapitular Michael Wohner, Mühlhausens Bürgermeister Dr. Martin Hundsdorfer, Museumsleiter Ludwig Schiller und die in Sulzbürg lebende Professorin Heide Inhetveen. Foto: F. X. Meyer
Bewusst wurde in Sulzbürg (Landkreis Neumarkt) der 9. November, der Tag, an dem sich zum 85. Mal die Reichspogromnacht jährte, für die Übergabe eines jüdischen Gebetbuches gewählt. Dieses gehörte einst dem Sulzbürger Juden Julius Freising. Nun wurde es von Freisings Großnichte Monika Springer, die aus
Berlin angereist war, in Absprache mit den Verwandten an das Sulzbürger Landlmuseum übergeben. Mühlhausens Bürgermeister Dr. Martin Hundsdorfer unterzeichnete den Übergabevertrag. Das 140 Seiten starke kleine, zerfledderte Büchlein in hebräischer Schrift befand sich seit rund 40 Jahren im Besitz der
Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt als Partnerin des Eichstätter Priesterseminars.
Vom Ortspfarrer
In Sulzbürg bestand jahrhundertelang eine jüdische Gemeinde, die ausgelöscht wurde, als 1942 die letzten Mitglieder in Vernichtungslager deportiert wurden. Seit 1985 verwahrt die Eichstätter Uni-Bibliothek einen Bestand von vier hebräischen Handschriften und 52 Drucken, die höchstwahrscheinlich alle aus Sulzbürg stammen. Dieses Konvolut hatte der katholische Pfarrer Heinrich Meißner – von 1944 bis 1984 Pfarrer in Sulzbürg – dem ehemaligen Regens des Eichstätter Priesterseminars Prof. Andreas Bauch übergeben, der sie 1985 der Uni-Bibliothek schenkte. Diese hat in einem vom Deutschen Zentrum Kulturverluste (DZK) geförderten Projekt die Herkunft des Sulzbürger Judaica-Bestandes erforscht. Dabei arbeiteten Dr. Heike Riedel und Dr. Franz Heiler von der Abteilung Historische Bestände an der Universitätsbibliothek, Prof. Dr. Heide Inhetveen aus Sulzbürg, der Judaist Dr. Wenzel Widenka, der Historiker Oliver Sowa sowie der Vorsitzende des Diözesangeschichtsvereins, Prof. Dr. Erich Naab, zusammen.
Julius Freisings Gebetbuch, das auch zahlreiche handschriftliche Einträge beinhaltet, „ist zwischen 1866 und 1900 entstanden“, erläuterte Heiler bei der Übergabe, an der auch der Regens des Priesterseminars, Domkapitular Michel Wohner teilnahm. „Wie wichtig das, was wir heute hier tun, wie wichtig solche Forschungs- und Erinnerungs-, solche Bildungs- und Aufklärungsarbeit, ist wie wichtig Versöhnungsbemühungen sind, braucht man gerade in diesen Tagen – denke ich – nicht eigens hervorzuheben“, bekräftigte er.
Wer war Julius Freising?
Inhetveen erforscht schon seit vielen Jahren die jüdische Geschichte ihres Heimatorts und dabei auch die Biographie von Julius Freising, der 1890 in Sulzbürg zur Welt kam. Die Familie zog mit sechs kleinen Kindern für kurze Zeit nach Freystadt, eröffnete einen Laden für Geschirr und Eisenwaren, kehrte aber 1897 wieder nach Sulzbürg zurück, wo ein stattliches Anwesen mit viel Grund gekauft wurde. Sohn Julius,der als Schulkind in die Obhut seiner Tante nach Georgensgmünd gegeben wurde, lernte den Bäckerberuf, heiratete 1919. Mit seiner Frau und den beiden Kindern lebte er in den 1920er-Jahren in Bochum und bekam dort den Antisemitismus zu spüren. Er erkannte aber die Zeichen der Zeit und entschloss sich im Jahr 1938 mit seiner Familie zur Flucht in die USA. Nur zwei Wochen vor der Pogromnacht in Deutschland kamen die Freisings in New York an. In Deutschland wurde seine Schwester Thekla ermordet, Bruder Carl mit seiner Frau und zwei Kindern umgebracht. Vater Simon verstarb im Sammellager in Regensburg.
Julius verdiente sich seinen Lebensunterhalt in den USA als Bäcker. Er starb 1965 mit 75 Jahren. Seine Tochter Ilse und ihr Mann Lou Weinman bekamen 1947 ihren Sohn Kenneth, der heute in Los Angeles lebt. „Er ist es, der als Erbe großzügig und mit kluger Überlegung das Gebetbuch seines Großvaters
Julius Freising der Gemeinde Mühlhausen und dem Landlmuseumvermacht hat“, berichtete Inhetveen.
Nicht vergessen
Kenneth Weinman hatte zur Buchübergabe in Sulzbürg auch eine Grußbotschaft verfasst, in der es heißt: „Es ist wunderbar, dass das Sulzbürger Gebetbuch meines Großvaters Julius Freising erhalten geblieben ist.“ Im Landlmuseum könne das Buch „als Teil einer längst vergangenen, aber niemals vergessenen jüdischen Welt“ besichtigt und gewürdigt werden, schreibt Weinmann. Er bezieht sich auch auf die aktuelle weltpolitische Lage. „Wieder ist unsere Welt dem Schrecken von Tod und Vernichtung ausgesetzt, den Eure Familien und Vorfahren schon als Teil der eigenen Geschichte erlebt haben. Aber Ihr habt Euren Nachbarn, Eurem Land und der Welt gezeigt, dass dies nicht der Weg ist, wie Menschen miteinander umgehen sollen. Eure Botschaft an die Welt ist Humanität.“
Bereits im Februar dieses Jahres war ein Buch aus dem Sulzbürger Judaica-Bestand an Sylvia Gruen Salomon übergeben worden. Die Enkelin des 1942 ermordeten Wolf Grünebaum war eigens aus den USA angereist. Eine zweite Restitution erfolgte heuer im Mai.
fxm/pde/gg
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