Serie: Lebensfragen - Lebenshilfe
Das Bedürfnis nach Wirkung
In diesem Jahr hat sich Susanne (48 Jahre) endlich einen lange gehegten Wunsch erfüllt. Zusammen mit ihrem Mann Jonas (52 Jahre) genoss sie den Karneval in Venedig in vollen Zügen. Nachdem Jonas noch im Vorjahr darauf bestand, wie alle Jahre in der Faschingszeit zum Skifahren zu fahren, war Susannes liebevolles Drängen im zweiten Anlauf erfolgreich.
Erinnern Sie sich selbst noch an ein Ereignis, bei dem Sie sich einen Wunsch erfüllt haben und vor lauter Freude "Hurra, ich hab’s geschafft!" riefen oder diesen Satz in aller Stille zu sich selbst sagten? War das nicht ein wunderbares Gefühl? Und in der Tat: Etwas aus eigener Kraft bewirken und gestalten zu können entspricht einem Grundbedürfnis von uns allen. Ein Baby unternimmt zum Beispiel alles, um die Aufmerksamkeit seiner Mutter oder seines Vaters zu bekommen. Ein kurzer Film im Internet mit dem Titel "Still Face Experiment" (Experiment mit unbewegter Gesichtsmimik) verdeutlicht, wie ausdauernd und einfallsreich es dabei ist. Ebenso deutlich wird das kindliche Bedürfnis nach eigenständigem Gestalten bei der Erstellung von zahlreichen Kuchen, Burgen oder Straßen im Sandkasten. Die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang von der motivierenden Kraft der "Selbstwirksamkeit".
Selbstwirksamkeit
Wie sich dieses wichtige psychologische Phänomen im Alltag einer Partnerschaft zeigt, das beschreibt der Berliner Paarberater Christian Thiel in seinem Buch "Was glückliche Paare richtig machen" wie folgt: "Wer Probleme bewältigt, fühlt sich gut, einerlei welcher Art und Größe sie sind. Es reicht schon, dass wir es schaffen, die neu gekaufte Lampe zusammenzubauen und anzuschließen – gleich fühlen wir uns besser. Wir sind stolz, denn wir haben ein Stück unserer persönlichen Welt verbessert, und dadurch steigt unser Gefühl, Einfluss auf den Lauf der Dinge zu haben".
Das Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit hat nach Ansicht des Autors "einen enormen Einfluss auf unser Selbstwertgefühl. Wir fühlen uns einfach besser, wenn wir Erfolg haben. Wir spüren dabei unsere Fähigkeiten, unser Können. Viele Frauen und Männer stärken ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung ganz instinktiv, wenn sie seelisch aus dem Gleichgewicht geraten sind. Bekannt ist bei Frauen das sogenannte Frustputzen. Um ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung zu steigern, wählen Männer andere Tätigkeiten. Sie streichen einen Stuhl oder werkeln am Auto. Am Ende haben Frauen wie Männer das Gefühl verstärkt, Einfluss auf ihre ganz persönliche Welt zu haben. Und weil sie sich danach besser fühlen, sind ihre Chancen gut, jetzt auch andere Aufgaben zu bewältigen. Für unseren Partner sind wir in einer solchen Verfassung sehr attraktiv. Wer Lebensfreude ausstrahlt, erzeugt in seiner Umgebung ebenfalls Lebensfreude".
Im Gegensatz zum erwähnten positiven Beispiel von Susanne erlebe ich im Rahmen meiner Beratungstätigkeit aber immer wieder, dass sich Frauen und Männer in ihrer Partnerschaft nicht wirksam, sondern total hilflos und ohnmächtig erleben. Dieses psychologische Phänomen bezeichnet der amerikanische Psychologe Martin E. P. Seligman als "Erlernte Hilflosigkeit". Seine Untersuchungen belegen, dass hilfloses Verhalten immer dann entsteht, wenn eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt lernt, dass sie mit ihrem eigenen Verhalten die nachfolgenden Konsequenzen in keiner Weise beeinflussen kann. Egal wie sie sich verhält, ob sie freundlich ist, sich beschwert, schimpft oder nichts sagt – der Umgang mit ihr bleibt der gleiche. Personen, die über lange Zeit solche Hilflosigkeitserfahrungen machen, werden früher oder später passiv, mutlos, resignativ und depressiv.
Kehren wir abschließend noch einmal zum eingangs erwähnten Beispiel zurück: Auf der Rückfahrt von Venedig über die Brennerautobahn bemerkte Susanne, dass der Blick von Jonas immer wieder sehnsüchtig über die verschneite Berglandschaft und die Skipisten am Rande der Straße streifte. Als er Susanne schließlich fragte "Nächstes Jahr Skifahren, übernächstes Jahr wieder Venedig?" und sie darauf mit "Tolle Idee mein Schatz!" antwortete, war Jonas überglücklich und spürte, wie super sich das Erleben von Selbstwirksamkeit anfühlt.
Dr. Gerhard Nechwatal, Kirchenzeitung vom 7. Juni 2015
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