Serie: Lebensfragen - Lebenshilfe
Von den beiden "langen Armen"
Ja, ohne Zweifel gibt es ihn, den viel zitierten "langen Arm des Berufs" (the long arm of the job). Das erfahren wir nicht nur täglich von unseren Klientinnen und Klienten an den Psychologischen Beratungsstellen für Ehe-, Familien- und Lebensberatung, sondern wir sind auch selbst immer wieder mit den mehr oder weniger intensiven Auswirkungen der Arbeit auf unsere Person, auf die Partnerschaft und Familie konfrontiert. Ebenso gibt es meiner Ansicht nach aber auch den "langen Arm des Privaten", der in die Arbeit hineingreift.
Reflexion und Ruhe
Das Bedürfnis, nach der Arbeit "abschalten" zu können, ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Während der Eine das Ziel hat, nach dem Passieren des Werktores keinen Gedanken mehr an die Arbeit zu verschwenden, stellt für den Anderen das dienstliche Telefonat von zu Hause aus kein Problem dar.
Ob man vom "langen Arm des Berufs" im Privatleben eingeholt wird, hängt nicht zuletzt auch von der jeweiligen Situation ab. Es gibt viele Hinweise darauf, dass die Wahrscheinlichkeit von Nachwirkungen der Arbeit im Privatbereich mit dem Grad der Belastungen steigt. So schildert beispielsweise Annette Pehnt in ihrem hervorragenden Roman "Mobbing" sehr anschaulich und ungeheuer bedrückend, wie sich die psychische und physische Extrembelastung durch Mobbing von der Arbeitsstelle ausgehend in die Partnerschaft, Familie und den Freundeskreis fortsetzt.
Ähnlich unterschiedlich wie der Wunsch nach dem "Abschalten" von der Arbeit ist das Bedürfnis nach einer Reflexion des Arbeitstages mit der Partnerin oder dem Partner. Während für den Einen ein einziges Wort über den Arbeitstag eine massive Störung des Feierabends darstellt, ist für den Anderen das abendliche Gespräch über die Ereignisse in der Firma eine wohltuende Gewohnheit.
Nicht selten werden wir in unseren Beratungen aber auch immer wieder mit dem "langen Arm des Privaten" in die Arbeit hinein konfrontiert. Wer selbst einmal an Liebeskummer litt und während der Leidenszeit täglich acht Stunden arbeiten musste, kennt das Phänomen, das kürzlich ein Beamter in einer Beratung mit den Worten schilderte: "Ich hab einfach meinen Kopf nicht frei für die Büroarbeit".
Energien dosieren
Was können wir selbst, die Partnerin beziehungsweise der Partner oder der Arbeitgeber für das Gelingen von guten Übergängen von der Arbeit in den Privatbereich und umgekehrt tun? Damit sich zu Hause der "lange Arm des Berufs" nicht in der Form der totalen Erschöpfung bemerkbar macht, gilt es darauf zu achten, dass man nicht 95 Prozent der Tagesenergie in die Arbeit investiert und somit abends keine Kraft mehr für die Partnerin, den Partner oder die Familie – schon gar nicht für die Klärung von kniffligen Situationen – zur Verfügung hat. Andersherum ist der achtsame Umgang mit den eigenen Kräften auch wichtig: Ein Auspowern bis zur letzten Minute am Wochenende oder im Urlaub wirkt sich früher oder später sicherlich negativ auf die Leistungsfähigkeit in der Arbeit aus.
Arbeitszufriedenheit
Natürlich gilt grundsätzlich – egal ob beide Partner berufstätig sind oder ob einer seine Hauptaufgabe im häuslichen Bereich hat –, dass eine gute Kommunikation zwischen ihnen eine tragende Säule für ihr Zusammenleben ist. Allerdings darf auch nicht vergessen werden, die individuellen Bedürfnisse der Partnerin oder des Partners hinsichtlich des erwähnten "Abschaltens" von der Arbeit und deren Reflexion in einem Gespräch wahrzunehmen und wertzuschätzen.
Da die Klientinnen und Klienten in den Beratungsstellen oftmals über belastende Arbeitsbedingungen klagen, sei an dieser Stelle auch an die Adresse der verantwortlichen Personen in kleineren wie auch in größeren Unternehmen appelliert, niemals die Sicherung einer möglichst optimalen Arbeitszufriedenheit aus dem Auge zu verlieren. Nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden davon profitieren, sondern auch deren Partnerschaft und die betroffenen Kinder.b Eine Anmerkung zum Schluss: Das Geschehen zwischen Arbeit und Privatbereich stellt sich nochmals in ganz spezieller Weise dar, wenn Problematiken wie Arbeitssucht oder Burn-Out eine Rolle spielen.
Dr. Gerhard Nechwatal, Kirchenzeitung vom 7. Oktober 2012
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