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Serie: Lebensfragen - Lebenshilfe

29.01.2015

Wie gut kennen wir uns eigentlich?

Vor einigen Jahren lernte ich Lily und ihren Mann Holger kennen. Als sie mich an der Beratungsstelle aufsuchten, waren beide 46 Jahre alt, seit über 20 Jahren verheiratet und Eltern eines achtzehnjährigen Sohnes. Holger, der schon kurz nach seinem Studium die Leitung eines kleinen Maschinenbauunternehmens übernommen hatte, war bei seinen Mitarbeitern sehr beliebt. Zum Leidwesen seiner Frau entwickelte er sich im Laufe der Jahre aber immer mehr zu einem arbeitssüchtigen Workaholic, dessen Arbeitstag morgens um 6.30 Uhr begann und fast nie vor 20 Uhr endete. An einigen Tagen im Monat übernachtete er sogar in der Firma. Vom Leben seiner Frau bekam er immer weniger mit. Seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber nahm rapide ab. Zum wiederholten Male vergaß er ihren Geburtstag und den gemeinsamen Hochzeitstag. Lily machte diese Entwicklung traurig. Sie sprach mit Holger über ihre zunehmende Unzufriedenheit. Daraufhin entschieden sie gemeinsam, das Hilfsangebot der Eheberatungsstelle in Anspruch zu nehmen.

Schon bei unserem ersten Beratungsgespräch fiel mir auf, dass die Situation von Lily und Holger mich an eine Fallschilderung erinnerte, die ich kurz zuvor in dem hervorragenden Buch "Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe" von John M. Gottman gelesen hatte. Wie der Ehemann im Fall des weltbekannten Paarforschers, war auch Holger so sehr von seiner Arbeit gefangengenommen, dass er in seinem Kopf nur noch wenig Platz für die wichtigen Dinge aus der Welt seiner Frau hatte.

Um die Kenntnisse von Holger über Lily – und umgekehrt – zu verbessern, empfahl ich beiden am Ende unseres ersten Beratungsgespräches, sich bis zur nächsten Sitzung einmal in Ruhe zwei Stunden zusammenzusetzen und anhand eines von mir ausgehändigten Übungsblattes folgende Fragen zur Partner-Landkarte zu bearbeiten und mit "wahr" oder "falsch" zu beantworten.

Partner-Landkarte

1. Ich kann die besten Freunde meines Partners nennen. 2. Ich kann sagen, mit welchen Problemen mein Partner gerade konfrontiert ist. 3. Ich kenne die Namen einiger Menschen, mit denen mein Partner in der letzten Zeit Schwierigkeiten hatte. 4. Ich kann einige der Lebensträume meines Partners nennen. 5. Ich bin mit den religiösen Vorstellungen und Überzeugungen meines Partners vertraut. 6. Ich kann sagen, welches die grundsätzliche Lebensphilosophie meines Partners ist. 7. Ich weiß, welche Verwandte mein Partner am wenigsten mag. 8. Ich weiß, welche Musik mein Partner am liebsten mag. 9. Ich kann die drei Lieblingsfilme meines Partners nennen. 10. Mein Partner kennt die Probleme, mit denen ich gegenwärtig konfrontiert bin. 11. Ich kenne die drei wichtigsten Phasen im Leben meines Partners. 12. Ich kann das schwerwiegendste Ereignis nennen, das meinem Partner in der Kindheit widerfuhr. 13. Ich kann die wichtigsten Hoffnungen und Wünsche, die mein Partner für sein Leben hegte, aufzählen. 14. Ich kenne die wichtigsten Ängste, von denen mein Partner derzeit heimgesucht wird. 15. Mein Partner kennt meine Freunde. 16. Ich weiß, was mein Partner tun würde, wenn er plötzlich im Lotto gewinnen würde. 17. Ich kann genau schildern, was mein erster Eindruck von meinem Partner war. 18. Ich befrage meinen Partner regelmäßig über seinen Vorstellungen und Erfahrungen. 19. Ich habe das Gefühl, als würde mein Partner mich ziemlich gut kennen. 20. Mein Partner ist mit meinen Wünschen und Hoffnungen vertraut.

Gottman, der die Partner-Landkarten-Übung entwickelt hatte, schreibt in der Instruktion: "Geben Sie sich einen Punkt für jedes "wahr". 10 oder mehr Punkte bedeuten, dass Sie eine gute Landkarte vom Alltagsleben Ihres Partners haben. Unter 10 Punkte bedeutet, dass Ihre Partnerschaft in diesem Bereich einige Verbesserungen gebrauchen könnte".

Ich kann mich noch gut erinnern, dass diese Übung ein wichtiger Schritt für Lily und Holger zu einem aufmerksameren Miteinander in Ihrer Ehe war. Wenn auch Sie Ihre Partnerin/Ihren Partner genauer kennenlernen wollen, versuchen Sie es einmal mit der vorgestellten Übung. Wie heißt es doch so schön in dem wunderbaren Lied von Bobby Vinton: "To know you, is to love you" (= Dich zu kennen, heißt Dich zu lieben).

Dr. Gerhard Nechwatal, Kirchenzeitung vom 1. Februar 2015

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